assyrischer Palast

assyrischer Palast
assyrischer Palast
 
Anders als der Tempel, dessen Anlage und Ausstattung vom Kult und von den kultischen Abläufen bestimmt wurde und der sich dadurch eindeutig von anderen Gebäudegattungen unterschied, ist im alten Babylonien der Palast von der architektonischen Gestalt her nur schwer zu definieren. Dies ist schon deswegen erstaunlich, weil wir um 2000 v. Chr. ab der Zeit der 3. Dynastie von Ur schriftliche Hinweise auf eine Art Hofzeremoniell haben, für das man einen bestimmten architektonischen Rahmen erwarten kann. Der Palast bestand jedoch zunächst nur aus einem vergrößerten Haus, wie es auch seine sumerische Bezeichnung »e-gal« (»großes Haus«) ausdrückt. Da dieser Ausdruck als Lehnwort (»ekallum«) in die akkadische Sprache übernommen wurde, ist zu vermuten, dass dieses Konzept auch in akkadischer Zeit zumindest vorläufig beibehalten wurde.
 
Die Vergrößerung gegenüber dem Wohnhaus offenbarte sich nicht nur darin, dass die einzelnen Bauteile - der Hof und die umgebenden Räume - größer ausgelegt wurden; hier setzten nämlich die normalen technischen Möglichkeiten, Räume zu überdecken, enge Grenzen. Vielmehr wurden größere Anlagen - etwa der Palast des Zimrilim in Mari - durch Aneinanderfügung verschiedener Grundeinheiten aus Hof und umgebenden Räumen erreicht. Die unterschiedliche Größe der einzelnen Hofsysteme lässt dabei auf unterschiedliche Funktionen und Bedeutung schließen.
 
Einzig der assyrische Palast fügte diesem Schema eine Besonderheit hinzu, die offenbar auf spezielle Erfordernisse bei der Ausübung von Herrschertätigkeiten antwortet. In den assyrischen Palästen wurde nämlich die Nahtstelle zwischen den privaten und den öffentlichen Bereichen der Hofsysteme in besonderer Weise gestaltet: Die assyrischen Baumeister ersetzten die sonst an dieser Stelle vorhandene einfache Raumreihe durch zwei hintereinander gelegte Langräume, von denen sich der eine durch drei besonders gestaltete Tore zum äußeren Hof hin öffnete. Durch Einrichtungen wie ein Thronpodest an einer Schmalseite ist dieser Raum als Thronraum ausgewiesen. Zum zweiten Langraum führte nur ein normaler Durchgang; auch der oder die Durchgänge von dort zum Wohnhof hin waren nicht besonders betont. Wegen seiner Größe und Nähe zum Thronsaal wird dieser zweite Raum meist als Bankettsaal bezeichnet. Von offensichtlich besonderer Bedeutung war eine Treppe, die sich in der Verlängerung des Thronsaals auf der dem Thron abgewandten Schmalseite in einem eigenen Raum befand; sie führte aber vermutlich nicht in ein zweites Stockwerk, sondern auf das Dach. Weil diese Einrichtung fest mit dem Thronsaal verbunden war, vermutet man, dass der König oder eine andere mit ihm direkt verbundene Person die Treppe benutzte, um auf dem Dach des Thronraums eine kultische Handlung durchführen zu können. Zur Gesamtanlage gehörte auch ein Baderaum.
 
Wann dieser neue Raumkomplex zum ersten Mal auftritt, ist unklar. Denn die aus dem 13. Jahrhundert stammenden Palastanlagen des assyrischen Herrschers Tukulti-ninurta I. in Assur (»Neuer Palast«) und in der von ihm neu gegründeten Residenzstadt Kar-Tukulti-Ninurta unweit von Assur am gegenüberliegenden Tigrisufer sind nur sehr schlecht erhalten. Mit der Neugründung von Kar-Tukulti-Ninurta war Tukulti-ninurta der erste einer Reihe von assyrischen Herrschern, die sich neue Residenzen zulegten; dabei reihte er sich zudem in eine Tradition ein, der schon im 14. Jahrhundert der Kassitenherrscher Kurigalzu I. und im 13. Jahrhundert der elamische Herrscher Untasch-Napirischa gefolgt waren und die wahrscheinlich auf das Vorbild des ägyptischen Pharaos Echnaton zurückgeht, der sich - kurz vor der Gründung Dur-Kurigalzus - seine neue Hauptstadt bei Amarna errichtet hatte.
 
Im 9. Jahrhundert baute Assurnasirpal II. den vorher unbedeutenden Ort Kalach zu seiner Hauptstadt aus. In seinem Palast gehörte der Thronraumkomplex bereits fest zum Schema; zudem wurden hier die weiteren Maßstäbe für die Bauten späterer Herrscher gesetzt. Vor allem wurden hier erstmals die Mauern mit reliefierten Steinplatten versehen und die besonders hervorgehobenen Eingänge mit riesigen Torwächterfiguren »geschützt«. Von Sargon II. haben wir die ausführlichste Beschreibung des Baues und der Feierlichkeiten zur Einweihung seines Palastes am Rande seiner neu erbauten Residenzstadt Dur-Scharrukin (»Sargonsburg«) im Jahre 706. Der Herrscher selbst kam allerdings kaum mehr in den Genuss seines Palastes, da er bereits 705 auf einem Kriegszug fiel. Aus diesem Grund wohl teilte das große, bereits mit einer Stadtmauer umgebene Gelände der eigentlichen Siedlung das Schicksal der früheren Gründung Kar-Tukulti-Ninurta: es wurde gleichfalls nie zu einer Residenz im vorgesehenen Umfang, obwohl hier Deportierte aus anderen Reichsteilen angesiedelt wurden - darunter sicher auch die vielen auswärtigen Handwerker, die sich Sargon aus allen Teilen seines Reiches hatte kommen lassen. Denn bereits sein Nachfolger Sanherib errichtete sich in Ninive wiederum eine neue Residenz.
 
In der Anlage von Palast und Ort Dur-Scharrukin drückte sich der zunehmende Unumschränktheitsanspruch der späten assyrischen Herrscher aus. Bereits Assurnasirpal hatte in Kalach Palast und Zentralgebäude erhöht über dem Stadtgebiet angelegt. Sargon überbot ihn noch, indem er im Norden des vorgesehenen Siedlungsbereichs Dur-Scharrukins eine hohe, weit über die Stadtmauer hinausragende Terrasse aufschütten ließ, wo auf einer weiteren Erhöhung der Palast errichtet wurde. Der Palast war also zweimal über den Ort gehoben, der Bereich der unteren Terrasse sollte damit eindeutig zum Regierungsviertel gehören. Die Lage der Architektur und deren Ausstattung bildeten also eine Gesamtkonzeption, die neben der Aufgabe, den Rahmen für die Regierungsgewalt zu stellen, vor allem das Ziel hatte, die Macht des Herrschers zu demonstrieren.
 
Auf der Terrasse unterhalb des Palastes stand auch der Tempel für den Gott Nabu, die größte und prächtigste der vielen Kultstätten im Bereich des Palastes und eindeutig das religiöse Zentrum. Zusätzlich lagen hier einige größere Bauten, die zwar erheblich kleiner waren als der Palast, aber dennoch den charakteristischen Thronsaalkomplex aufwiesen; um einfache Wohngebäude kann es sich bei ihnen also nicht gehandelt haben. Man bezeichnet sie deshalb als »Residenzen« von Angehörigen des Herrscherhauses oder von höheren Beamten, die einen Anspruch auf ein ähnliches Zeremoniell gehabt haben könnten wie der Herrscher selbst.
 
Diese Annahme wird dadurch bestärkt, dass in Syrien in Hadatu oder Dur-Katlimmu gleichartige Anlagen gefunden wurden, die Sitz assyrischer Provinzstatthalter gewesen waren. Offenbar muss es also im assyrischen Zeremoniell bestimmte Elemente gegeben haben, die für die Hofhaltung auch anderer Würdenträger des Reiches in gleicher Weise galten. Da die Königsrituale und Hofzeremonielle aber zu unbekannt sind, lässt sich die Frage, ob sich das Zeremoniell zwischen Babylonien und Assyrien so unterschied, wie es die bauliche Abweichung im zentralen Teil der jeweiligen Palasttypen nahe legt, nicht beantworten.
 
Prof. Dr. Hans J. Nissen

Universal-Lexikon. 2012.

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